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Boldt, Ralf & Jeschke, Wolfgang (Hrsg.)

Die Stille nach dem Ton: und die anderen preisgekrönten SF-Kurzgeschichten


 
»Die Stille nach dem Ton: und die anderen preisgekrönten SF-Kurzgeschichten« von Boldt, Ralf & Jeschke, Wolfgang (Hrsg.)


Besprochen von:
 
Detlef V.
Deine Wertung:
(4.5)

 
 
Kurzgeschichten, wie habe ich sie immer geliebt, diese Kleinode menschlicher Schaffenskunst. In den 60er, 70er, 80er Jahren gingen die großen Verlage recht verschwenderisch mit den Veröffentlichungen ganzer Reihen um. The Magazin of Fantasy and SF, Heyne SF Jahresband oder Isaac Asimovs SF Magazin im Heyne Verlag, Analog und Kopernikus im Moewig Verlag, Worlds Best SF - Die besten Stories der amerikanischen SF im Bastei Lübbe Verlag, um nur einige zu nennen. Die Liste ließe sich beliebig fortführen. Gerade in den Kurzgeschichten trennte sich für mich immer die Spreu vom Weizen. Hier wurden die Autoren gefordert, mussten auf nur wenigen Seiten ihr ganzes Können entfalten und dem Leser eine in sich schlüssige Geschichte, in der Regel mit einem gewissen Aha-Effekt am Ende, bieten. Keine Zeit für Rumschwurbeleien, endlosen Diskussionen oder langweiligen Nebenschauplätzen. Nein, der Autor musste seine Geschichte auf den Punkt bringen, eine Kunst, die nicht jeder beherrscht. Nun ist es bei den großen Verlagen in Deutschland ruhig geworden was die Kurzgeschichten betrifft, die Serien sind eingestellt und keine Änderung ist in Sicht.

Eigentlich ein Grund Trübsal zu blasen, könnte man meinen. Allerdings hat sich in Deutschland, ganz heimlich, still und leise, eine neue Möglichkeit ergeben. Viele deutsche Kleinverlage, wie etwa Shayol, Wurdack, Fabylon, Begedia oder Atlantis, um auch hier nur einige zu nennen, haben sich der Kurzgeschichten (im Bereich Buch, nicht im Bereich Magazin oder ähnliches) angenommen. Das Hauptaugenmerk wird hier jedoch nicht mehr auf die internationalen Autoren gelegt, sondern vielmehr auf die nationalen, bzw. deutschsprachigen Autoren (ja, auch Österreicher und Schweizer dürfen sich angesprochen fühlen). Und diese stehen ihren Kollegen aus aller Welt glücklicherweise in nichts nach. Regelmäßig wird seit 1985 die beste Kurzgeschichte prämiert, anfangs noch mit dem SFCD Literaturpreis, ab 1999 mit dem Deutschen Science Fiction Preis, kurz DSFP. Um alle Gewinner erstmals unter einen Hut zu bringen oder in einem Buch zu veröffentlichen, haben sich Michael Haitel, Ralf Boldt und Wolfgang Jeschke zusammengesetzt. Herausgekommen ist Die Stille nach dem Ton und andere preisgekrönte SF Kurzgeschichten von 1985 bis 2012.

Das Format des Buches ist ... ungewöhnlich. Die Höhe entspricht in etwa anderthalb normaler Taschenbücher und ist damit leider recht umständlich beim lesen. Auch dürfte es hochkant nicht in jedes normale Ikea Regel passen, was aber zu verzeihen ist. Das Cover von Lothar Bauer ist sehr ansprechend und vermutlich der titelgebenden Geschichte von Michael Marrak geschuldet. Auf 392 Seiten finden sich 28 Kurzgeschichten namhafter Autoren – prall gefüllt mit typischen SF Kurzgeschichten. Typisch? Oha, bereits bei diesem einem Wort wird mir der ganze Irrtum meiner Annahme offenbar, denn die typische SF gibt es gar nicht. Die SF ist im Laufe der Jahrzehnte durchaus vielschichtiger und umfassender geworden, mit dem zunehmenden Wissen und einer fortschrittlicheren Technik im realen Leben, haben sich die Möglichkeiten potenziert. Daher war mein nächster Gedanke auch gleich: Was genau macht einen SF Roman, oder eine SF Kurzgeschichte, eigentlich zu einem SF Roman oder einer SF Kurzgeschichte? Sind es nur die Anhäufung der Elemente Aliens, Weltraum, Roboter, Raumschiffe oder galaktischer Reiche? Müssen all diese klassischen, aber wohl mittlerweile überholten, Elemente, die mir Autoren wie Heinlein, Clarke und Asimov in meiner Anfangszeit um die Ohren gehauen haben, wirklich darin vorkommen oder reicht es bereits wenn die Geschichte in der (näheren) Zukunft spielt und fast gänzlich auf die klassischen Elemente verzichtet? Denn wer dieses klassische Sujet erwartet wird enttäuscht werden.

Es gibt in keiner Geschichte ein galaktisches Imperium das sich gegen wen-auch-immer behaupten muss. Nur wenige der Geschichten spielen überhaupt im Weltraum (DAS LETZTE SIGNAL, WUNDER DES UNIVERSUMS, BOA ESPERANCA) oder auf fremden Planeten (CANEA NULL, IN DER FREIHANDELSZONE, WIEDERGÄNGER). Wer solch ein Setting sucht, sucht in der Regel vergebens. Nicht das galaktisch Große steht im Vordergrund, sondern vielmehr der Mensch, der sich in seinem kleinbürgerlichen Leben (GÖDEL GEHT, DIE STILLE NACH DEM TON) oder seiner wissenschaftlichen Welt (HEIMKEHR) gegen das Eindringen des phantastischen erwehren muss. Hier wird das Nächstliegende mit dem Entferntesten verknüpft, der Alltag mit dem Außergewöhnlichen, ohne sich in höheren Dimensionen oder abstrakten Welten zu verlieren. Somit bleibt das ganze zwar recht bodenständig, lässt aber für mich im Gegenzug auch gleichzeitig großartige Visionen etwas vermissen. Bei manchen der Preisträger frage ich mich, wie die Auswahl wohl getroffen wurde. Welche Kriterien wurden hier zugrunde gelegt, denn ein paar der Geschichten fallen für mich eindeutig nicht in den Bereich SF – ohne damit sagen zu wollen das sie schlecht wären. EIN MORD IM WELTRAUM ist eine klassische Kriminalgeschichte, in der der Mord zufällig auf einer Raumstation stattfindet. Genauso gut hätte dieser aber auch in einem Unterwasserlabor oder in einer Fabrik geschehen können. Als völlig abstrus und haarsträubend entpuppt sich DAS LIEDERLICH-MACHEND LIEDERMACHER LEBEN, dessen Gewinn des Preises ich nicht nachvollziehen kann. Hat es in diesem Jahr wirklich nichts preiswürdigeres gegeben? Ich musste mir verwundert die Augen reiben... das soll SF sein?

In den folgenden Geschichten zeichnet die Riege der Autoren zahlreiche Bilder der näheren und ferneren Zukunft. Oftmals wollen wir diese gar nicht erleben, da man sie als zu negativ und zu nicht wirklich lebens- oder wünschenswert empfindet. Gerade die Geschichten von Michael Iwoleit gehen in diese Richtung. Sie zeigen uns in PSYHACK eine Gruppe von skrupellosen Menschen, die für Geld und Profit auch über Leichen geht und in WEGE INS LICHT eine dystopische Gesellschaft in der (fast) niemand mehr sterben kann und die Welt somit durch Unsterblichkeit an Überbevölkerung zu Grunde gehen droht. Aber es gibt auch Lichtblicke. In HEIMKEHR überrascht Frank Haubold seinen Protagonisten Professor Kravitz mit einem Happy End – und nicht nur ihn. Für mich persönlich ein kleiner hoffnungsvoller Farbtupfer in einer Reihe von bedrückenden Erzählungen, in denen oftmals nur der Tod, Gewalt, Eigensinnigkeit und Egoismus thematisiert wird.

Andreas Eschbach und Matthias Falke greifen in ihren Geschichten das gleiche Thema auf – ein gestrandeter Astronaut (Astronautin) im Weltall, die ihre letzen Stunden und Minuten erleben. Das liest sich richtig gut und macht auch nachdenklich, denn jeder von uns hat diese letzten Augenblicke noch vor sich. Bleibt nur die Frage, ob man ebenso gefasst ins Jenseits hinübertreten kann wie es Joan Ridgewater und Sven-Erkki Fabian es uns vorgemacht haben. Zwei weitere Höhepunkte des Buches sind für mich ohne Frage die Geschichten SMALL TALK und WEG MIT STELLA MARIS. Beide Storys haben für mich den Clou im Clou. Als Leser wird einem eigentlich schnell klar auf welches Ende beide Geschichten zusteuern, was aber dann schlussendlich dabei herauskommt, setzt allem noch die Krone auf. Auch CANEA NULL weiß mich zu begeistern. Sie erinnert ein bisschen an die Kurzgeschichte von William Voltz DER PREIS. Beidesmal muss sich eine Gruppe Forscher auf einem fremdem Planeten gegen zahlreiche Widrigkeiten zur Wehr setzten, werden am Ende dann aber doch vom Planten selber auf eine schaurige Art und Weise verändert. Sie verlieren ihre Menschlichkeit und werden zu etwas neuem, zu einem Teil des Planeten.

Andreas Findig gelingt es in GÖDEL GEHT alleine durch seinen Erzählstil zu begeistern. Er schafft es wie kein zweiter, den Geist und das Flair in einem Wiener Cafe das Jahres 1929 zu Papier zu bringen. Durchdrungen vom Wiener Schmäh und viel Lokalkolorit schafft der Österreicher die wohl nachträglichste Atmosphäre im ganzen Buch. Eine Atmosphäre der andern Art, der märchenhaften nämlich, bekommt man als Leser in DER KÄSE vorgesetzt. Einer Geschichte, die von der Entwicklung eines Stückchen Käses handelt. Humorvoll erzählt und eine der kürzesten im vorliegenden Buch. Wesentlich ernster geht es in KASPERLE IST WIEDER DA! zu. Klingt der Titel auf den ersten Blick recht amüsant, wird man als Leser jedoch schnell eines besseren belehrt. Die Story erweist sich als ausgesprochen traurig und schwermütig, spiegelt aber auch zusammen mit dem Werk von Andreas Findig die Vielschichtigkeit und Gegensätzlichkeit des Buches wieder. Humorvolle Geschichten wechseln sich mit traurigen ab, wissenschaftliche mit märchenhaften, technisch fortschrittliche mit handwerklich alltäglichen. Das ist durchaus eine Stäre des Buches. Schon fast religiöse Züge kann man in der namengebenden Story von Michael Marrak DIE STILLE MACH DEM TON finden. Die Ereignisse die sein Protagonist Radiant erlebt, möchte man als Leser nun wirklich nicht am eigenen Leib erfahren.

Es ist schön zu sehen, dass solche Urgesteine der SF wie Wolfgang Jeschke (ich vermute mal diesen Begriff kann er schon nicht mehr hören) immer noch gefragt und gelesen werden, hat er es doch geschafft, über so viele Jahre kontinuierlich den Leser zu begeistern (auch mich) und sowohl einer der ersten, wie auch einer der letzen Preisträger des Buches zu sein. Viele andere der Autoren sind dem Leser ebenfalls durch ihre Bücher bekannt. Andreas Eschbach, Michael Marrak, Michael Iwoleit, Markus Hammerschmidt, Thomas Mielke, Reinmar Cunis oder Frank Haubold geben sich die Hand mit den (noch) relativ unbekannten Autoren wie Matthias Falke, Karla Schmidt, Michael Sauter oder Heidrun Jänchen. Letztere haben sich im Fandom zwar durchaus einen Namen gemacht, sind aber dem „großen“ Publikum wohl noch eher unbekannt. Aber, da bin ich mir sicher, sie arbeiten daran das zu ändern. Die vorliegenden Geschichten und die Auszeichnungen sollten auf jeden Fall Mut machen.

Fazit:
Die Idee alle Preisträger der SF-Kurzgeschichten aus den Jahren 1985 bis 2012 in einem Band zu vereinen, hat sich als hervorragend und gut erwiesen. Der Preis von rund 29 Euro ist zwar kein Pappenstil, jedoch sollte man bedenken, dass einem dafür 28 preisgekrönte Geschichten als Gegenleistung geboten werden. Das macht gerade mal etwas mehr als einen Euro pro Geschichte. Da alle Storys bereits hochgelobte Preisträger sind, stellt sich einem als Leser auch gar nicht erst die Frage ob sie qualitativ oder handwerklich gut sind, denn das ist unbestritten, sondern vielmehr nur noch die Frage, ob sie einem persönliche gefallen oder nicht. Auch wenn ich oftmals meine Aliens, Raumschiffe oder fremde Welten vermisst habe, so konnten mich doch der bei weitem größte Teil der Geschichten überzeugen. Für mich eine Kauf- und Lesesempfehlung.
 


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